Dunkle Vorahnung

Teil 1

 

Es ist Abend in Dracania.
Die Sonne war gerade hinter den hohen Bergen im Norden Durias versunken, und der Himmel leuchtete in allen Regenbogenfarben, die nach und nach zu dezenten Pastelltönen verblassten, ehe sich alles graublau und schließlich indigoblau verfärbte. Die ersten Sterne funkelten, während die letzten flirrenden Hitzewellen von der Erde aufstiegen.
An diesem schönen Sommerabend wehte ein warmes, laues Lüftchen durch die Weiten der Ebene, welcher die saftig-grünen Blätter der Bäume ein wenig zum Rascheln brachte.
Auf den Wiesen und Feldern Durias zirpten die ersten Grillen, und Glühwürmchen wetteiferten mit den Sternen, sie blinkten und funkelten.
Nahe dem Bach am Waldesrand hörte man die Frösche quaken, und noch die letzten Vögel flogen durch den Wald zu ihren Nistplätzen.
Hier und da huschte schon die erste nachtaktive Feldmaus durch das Unterholz, und auch die Igel kamen langsam aus den Gebüschen und Verstecken hervorgekrochen.
Alles näherte sich allmählich der abendlichen Ruhe.

Etwas weiter in des Waldes Mitte, bei der Gildenfestung der Tempelritter, hörte man hingegen Musik, Tanz und viel Gelächter. Wer durch das große, hölzerne Gildentor, über den breiten Vorhof in die epochale Gildenhalle eintrat, würde einen hell erleuchteten und festlich geschmückten Saal, voll mit Magiern, Kriegern und Waldläufern vorfinden; allesamt mit Speis und Trank beim Feiern.
Auf der rechten Seite befand sich ein langer, aus schwarzen Ebenholz gefertigter Tisch mit genau 49 Sitzen an den Seiten und einem etwas größeren am Kopfende. Fast schon einem Thron kommt dieser Sitz gleich.
Auf dem Tisch selbst standen zahlreiche Teller und Becher, reich gefüllt, und hier und da erkannte man noch auf den großen Silbertellern die Überreste einer saftigen Schweinshaxe.
Auf der linken Seite wurde Platz geschaffen, und während in der Ecke die Musiker ein paar fröhliche und lustige Lieder spielten, beeindruckten in der anderen [Ecke] Feuerspucker und Jongleure ihr Publikum mit ihrem Können und sorgten zurecht für vielerlei klatschenden Beifall.
Gleichzeitig tanzten andere mit skurrilen Bewegungen zu der Musik umher, lachend, grinsend, freudestrahlend. Natürlich nie zu nahe an den Feuerspuckern.
Wiederum andere jedoch hatte es am Tisch gehalten. Entweder speisend mit einer wohlschmeckenden Wildschweinhaxe oder mit einem Krug Honigmet in der Hand, über Aktuelles lästernd und dabei des Öfteren laut lachend, oder dem Geschehen der Akteure vor ihnen zusehend.

Für alle ist es ein freudiger Tag, denn erst vor kurzem konnten sie die mysteriösen Wölfe in Varholm zurückdrängen. Keiner weiß genau, ob es bei dieser einmaligen Heldentat bleibt oder ob der boshafte Ahnenwolf erneut Dracania heimsuchen wird.
Wie dem auch sei, sollte er wiederkehren, würden ihn die Templer zum zweiten Male zurück in die ewigen Jagdgründe schicken und die unschuldigen Dorfbewohner Varholms noch mal von dem Unheil befreien.

Aber am heutigen Abend dachte niemand ans Kämpfen, sondern nur noch ans Feiern.
Der Met fließt fässerweise und die am Tag erlegten Wildschweine sind schon gänzlich verspeist. Während sich Jinnarien und Elefele gerade noch angeregt unterhielten, und Myolandra daneben saß und dem interessanten Gespräch über neue Vergrößerungsbauten für den Drachenhorst lauschte, schenkte Boöndal den beiden Damen etwas Met nach, welches sogleich mit einem kräftigen Schluck aus den Bechern wieder geleert wurde.
Just als sie nun weiter über die Erweiterungen reden wollten, begannen die Musiker Jinnarien’s Lieblingslied zu spielen. Sofort sprang sie auf, griff Myolandra’s Hand und zog ihn energisch auf die Tanzfläche zu den Anderen.
„Der arme Kerl.“, sagte Ringo lachend mit seinem Met-Krug in der Hand. Er hatte die Gesichter beider gesehen: Jinnarien freudestrahlend; Myolandra entsetzt darüber, dass er tanzen müsse.

Je später der Abend, desto mehr Met floss und desto lustiger wurde es schließlich.

Irgendwann muss jedoch auch der stärkste Held mal schlafen gehen, und so leerte sich die Gildenhalle langsam bis tief in die Nacht hinein. Allesamt verschwanden sie nach und nach in ihren Gemächern, und fielen erschöpft vom Kampf und vom Feiern in ihre Betten.
So auch Jinnarien und Myolandra.

Keine 5 Minuten dauerte es und neben Myolandra ertönte eine Geräuschkulisse, vergleichbar mit dem Sägen von Holzstämmen mittels eines stumpfen Fuchsschwanzes.
Außer für Myolandra, kehrte für jeden im Gildenhaus nun endlich die verdiente Ruhe ein und alle Templer lagen in ihren Betten, um den jüngsten Rausch auszuschlafen.

Alles schlummerte ruhig, doch mitten in der Nacht begann Jinnarien sich aufgeregt und nervös hin- und herzuwälzen.
Schweiß stand ihr auf der Stirn, sie murmelte etwas, sie trat ihre Decke mit den Füßen von sich fort, bewegte sich immer schneller unruhig hin und her.
Plötzlich riss sie panisch die Augen auf und richtete sich sofort im Bett auf. Angst lag in ihrem Gesicht und sie rang schnell nach Luft.
Ihre Seite des Bettes war völlig nass geschwitzt und auch ihr abendliches Leinengewand war deutlich durchtränkt davon.
Sie versuchte sich zu sammeln; atmete tief ein und bemühte sich zu beruhigen. Sie schaute neben sich: Myolandra schlief tief und fest.
Jinnarien stand langsam vom Schlafplatz auf, ging ans Fenster, öffnete es und schnappte frische Luft.
Der Halbmond schien auf Duria nieder und ein laues, kühles Nachtlüftchen wehte umher. In der Ferne hörte man einen einsamen Wolf heulen, und Grillen zirpten nachwievor.

„Es war nur ein Albtraum … ich habe wohl doch zuviel Met getrunken.“, sagte sie leise, legte ihre Hand auf die pochende Stirn und kehrte wieder zurück ins Bett neben Myolandra.
Sie schloss die Augen, ihr Puls verlangsamte sich. Gleich wäre sie eingeschlafen.
Immer noch im Halbschlaf, schnupperte sie kurz und nahm für einen Augenblick den Geruch von brennendem nassen Gras, altem Holz und Fleisch wahr.
Sofort riss sie die Augen auf, saß wieder im Bett und roch erneut. Nichts!
Es dauerte einige Minuten, bis sich Jinnarien nochmals hinlegte und eingestand, dass sie sich wohl eben geirrt und wirklich viel zu tief ins Glas geschaut hatte.
„Erst der Albtraum, nun der ominöse Geruch…“, dachte sie und schloss die Augen.

Am nächsten Tag wachten die Templer alle erst gegen die Mittagszeit auf. Während manche quietschfidel den Tag und die Sonne begrüßten, hatte andere mit einem heftigen Kater zu kämpfen und huschten daher auch nur kurz aus ihren Gemächern, um sich etwas gegen die stark pochenden Kopfschmerzen aus der Gildenküche zu holen.

Derweil entfernten Goudge, Ringo, Amagan und Tekener die Überreste des gestrigen Festakts aus der Gildenhalle und sorgten dabei für etwas Ordnung. Jinnarien setzte sich an ihrem Platz am Gildentisch, legte den Kopf in die Hände und versuchte den noch schwummrigen Kopf zum Stillstand zu bringen.
„Kann ich dir einen Tee bringen?“, fragte Goudge die völlig fertig aussehende Jinnarien.
„Ja… einen Kräutertee, bitte.“, antwortete sie leise und versuchte ihre Gedanken zu sammeln.
Myolandra beteiligte sich indessen bei den Aufräumarbeiten und spülte einige Teller in der Küche ab.
Wenige Minuten später kam Goudge zurück.
„Hier dein Tee, Jinn.“, sagte er und stellte vor ihr eine frisch gebrühte Tasse Kräutertee hin.
„Na? Wohl gestern etwas zu viel getrunken, was?“, fragte er gleich hinterer.
„Auch.“, antwortete Jinnarien und hob dabei ihren Kopf nur minimal von ihren Händen hoch.
Goudge ließ sie in Ruhe und half weiter beim Putzen.


So zog die Sonne langsam von Ost nach West vorbei. Heute war für die Templer kein Tag mit Heldentaten, sondern vielmehr einer mit Bettruhe, Tee und kalte Stirnlappen.

Die Tage verstrichen und die Templer gingen wieder wie gewöhnlich ihren jeweiligen Aufgaben und Pflichten nach.

Während Floristika weiter fleißig ihre Schwertkampfkunst verbesserte, Hexania ein paar neue Zaubersprüche und Fertigkeiten lernte – immer unter den strengen Augen ihres Vater Tekener –, Amagan seine Schusstechniken perfektionierte und seinen Adler weiter domestizierte, und viele andere Templer unermüdlich am Trainieren waren, zog es Jinnarien immer wieder in die stillen und dunklen Ecken der Gildenhalle zurück. Man sah sie in den letzten Wochen nur noch selten und wenn doch, dann wirkte sie traurig, etwas verängstigt, aber vor allem geistig völlig abwesend. Selbst der Kräutergarten hatte unter ihrem veränderten Verhalten zu leiden. Zwar gab es immer wieder mal einen sommerlichen Schauer, aber es fehlte doch eine liebevolle Hand bei den Pflanzen.

Zurzeit waren die Templer immer sehr beschäftigt gewesen, denn jenseits der Grenzen in den Nordlanden wurde eine bislang unbekannte Welt vermutet und natürlich wollte jeder die Expedition unterstützen und bei den Grabungen helfen. Daher waren sie meist von frühmorgens bis spätabends unterwegs, weswegen nur einzelne Templer nach Jinnariens Befinden und dem Grund für ihre Niedergeschlagenheit fragen konnten. Die Reaktion ihrerseits war jedoch stets dieselbe: „Schon ok.“ Und sie lächelte kurz.
Myolandra bemerkte früh, dass mit ihr etwas nicht stimmte, doch auch er bekam keinerlei Antworten von seiner Frau, und da er sie nicht unter Druck setzen wollte, bohrte er nicht weiter nach, sondern hoffte, dass sie es ihm erzählen würde, wenn sie dafür bereit war.

Tage später …

Goudge reiste mit Bladex und Tekener nach Kingshill, um die Gildenvorräte aufzustocken und um für jeden selbst noch nach den neusten Waren zu schauen.
Tekener interessierte sich beim Handwerksmeister besonders für einen neuen Bogen: Mehrere dünne Lagen gleichgeschnittener, verschiedener Hölzer sind miteinander verklebt worden und geben durch ein besonders dehnbares Garn aus Wolfshaar eine noch höhere Schussreichweite.
Tekener haderte mit sich, ob er sein Geld für diesen neuen Bogen ausgeben sollte oder nicht.
Unterdessen hatte sich Bladex beim Meisterschmied eingefunden und brachte seine Rüstung dort zur Reparatur: vorwiegend zum Ausbeulen von Dellen, die durch das ruhmreiche Kämpfen in der Arena in Jarlshofen entstanden sind. Auch sein Kettenhemd hatte schon mal bessere Zeiten gesehen.
Solange Bladex noch mit dem Schmied über den Preis verhandelte, zog es Goudge in die hinteren Gassen Kingshills. Dort, wo Alchemisten, Kräuterfrauen und allerlei zwielichtige Händler ihre Läden hatten oder aber ihre Waren direkt auf der Straße, unter der Hand, an den Mann brachten. Er ging zielgerichtet in den dritten Laden auf der linken Seite der zweiten Quergasse: > zum Alchemisten seines Vertrauens <

„Guten Morgen, Godwyn.“, grüßte Goudge ihn gleich beim Betreten des Ladens, „Was hast du Neues für mich?“
Hinter den Tresen stand ein Mann mittleren Alters mit einem kleinem braunen Spitzbärtchen und einer kleiner, rahmenlosen Brille auf der Nase. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Rakorus Munterium, wenn man ihn so sah. Der verrückte Blick, die etwas lädierte Robe, sein schlechtes Erkennen von Gesichtern, was immer wieder dazu führte, dass er die Leute nicht beim Namen nannte, sondern lediglich duzte. Aber nett war es gewesen, immer zuvorkommend für seine Kunden und selbst war er auch ein interessierter Meister für allerlei naturwissenschaftliche Belange.
„Hallo Goudge. Gut, dass du kommst, ich habe gestern etwas Neues hereinbekommen. Evtl. ist das was für dich. Moment, ich hol es eben.“, antwortete Godwyn und verschwand in den Hinterzimmern seines kleinen Ladens.
Goudge schaute sich derweil in seinem Geschäft um. Er liebte es hier zu sein: überall standen allerlei Fläschchen mit Mixturen in kleinen Kisten, Gerätschaften mit für ihn unbekannter Funktion und Aufgabe auf den Ladentischen, und die verschiedensten Bücher über die Geschichte Durias und alchemistische Versuche und Errungenschaften hatten ihren Platz im großen Regal, dass an der Wand neben dem Tresen stand.
Er und Godwyn kannten sich schon viele Jahre, sodass dieser immer ein paar interessante Bücher und vor allem seltene Pulver für ihn bereithielt.
Gerade als Goudge eine kleine, verzierte Schatulle in Augenschein nahm, kam Godwyn mit einem Packet in den Händen zurück.
„Das wird dir bestimmt gefallen.“, sagte er sicher, stellte das Packet auf den Tresen ab und griff hinein.
„Du führst doch gerne von Zeit zu Zeit ein paar Experimente vor. Benutze am Besten mal dies hier.“ Godwyn hielt ihm eine kleine, flache, rechteckige, metallischglänzende Scheibe hin.
Goudge nahm sie in die Hand, begutachtete es, fragte dann aber verwundert: „Und was soll ich damit?“
„Warte noch kurz.“, antwortete Godwyn.
Goudge schaute das kleine Stück Metall an, welches er mit Zeigefinger und Daumen festhielt. Es dauerte etwas, aber dann sah er, was Godwyn ihm zeigen wollte: Das Metallstück begann sich von selbst zu verformen, es wurde weich und wabbelig.
Sofort fragte Goudge grinsend nach: „Ist es das, wofür ich es halte?“
„Ja.“, entgegnete Godwyn, „Es ist Germanium, falls du das meintest.“
Goudge lachte. „Sehr schön. Ich suche schon lange danach, aber selbst habe ich leider bisher keines gefunden. Damit werde ich meinen Gildenkollegen erstmal ein paar schöne Tricks zeigen.“ Er grinste.
„Dachte ich mir doch, dass dir das gefallen wird. Hier habe ich noch was.“ Godwyn reichte Goudge ein Fläschchen mit einer silbrigen Flüssigkeit. „Flüssiges Quecksilber. In Kombination mit konzentrierter Salpetersäure und in Gegenwart von Ethanol wird daraus – “
„Knallsäure!“, fiel ihm Goudge ins Wort.
„Richtung und die ist – “
„Leicht explosiv.“, schnitt Goudge ihm erneut das Wort ab.
„Warum sage ich dir das eigentlich? Du weißt das ja eh schon.“, scherzelte Godwyn.
„Kennst mich doch, mein Guter.“
„Wie lief eigentlich das Anreichern des Düngers für Jinnariens Kräutergarten? Ich hoffe mal, du hast mit dem Ammoniak aufgepasst, schließlich ist das nicht unbedingt billig gewesen.“, fragte Godwyn interessiert mit einem Grinsen im Gesicht.
„Ach…“, druckste Goudge herum, „ Sagen wir es mal so: Der Dünger schlug ein wie eine Bombe.“ Er lachte herzhaft, und Godwyn verstand und lachte ebenfalls.
„Nun gut, ich muss gleich wieder los. Wie viel macht das alles?“
„3 Goldtaler.“, antwortete Godwyn.
„Hier hast du 4.“ Er gab ihm das Geld. „Sag mal, was hast du da eigentlich um deinen Hals zu hängen?“, fragte Goudge und deutete auf das blau-verzierte, ovale, metallische, neue Amulett, welches vor Godwyns Brust herumbaumelte.
„Das? … Das ist ein Geschenk von Caris, der Handwerkstochter nahe des Hauptmarktes.“
„Ein Geschenk? … Steht ihr euch nahe?“, wollte Goudge wissen.
„Nunja, ich habe ihr bereits den Hof gemacht. Allerdings hält ihr Herr Papa wenig von mir. Er möchte, dass sie ‚einen Mann ihres Standes’ und ‚nicht solch einen Krämer und Giftmischer’ wie mich ehelicht. Allerdings – und das ganz im Vertrauen, weil wir so gute Freunde sind – treffen Caris und ich uns manchmal heimlich nachts und streifen durch die Stadt und die Felder draußen.“ Godwyns Stimme wurde sanft und ruhig, seine glasigen Augen unterstrichen seine Zuneigung zu dieser jungen Frau.
„Keine Sorge, ich schweige wie ein Grab. Allerdings wirst du nicht darum herumkommen irgendwann mit ihrem Vater über euch zu reden.“, warf Goudge bedeckend ein.
„Dieser Tag liegt noch fern, mein Guter. … Aber lass uns nicht dauernd von meiner Liebe reden. Wie geht es mit deiner Herzallerliebsten voran?“
„Meinst du mein Laboratorium?“, fragte Goudge scherzelnd, „Nach dem letzten kleinem zu beseitigendem Chaos ist es nun wieder vollkommen einsatzbereit.“
„Das freut mich zu hören. Apropos, sag mal, ich muss dich doch noch mal damit nerven: Hättest du eine Idee für einen schussligen Alchemisten, was er seiner Angebeteten zur Volljährigkeit in 3 Wochen schenken könnte? Nichts erscheint mir gut genug für sie, und in meinem Laden finde und finde ich einfach nichts, was mir einzigartig und schön genug erscheint.“, fragte Godwyn und kam somit auf das vorherige Thema zurück.
Goudge schaute sich gleich suchend im Laden um und nach kurzer Zeit griff er eine große, gläserne Ampulle aus dem Regal heraus.
„Zwei Worte“, sagte Goudge selbstsicher, „Chemischer Wassergarten.“ Er pausierte kurz und lies seine Worte wirken. „Putz du die Ampulle rein und besorg mir ein paar verschiedene Salzkristalle!“ Lässig warf er die Flasche zu Godwyn rüber, der sie sofort auffing.
„Um den Rest kümmere ich mich. Alles was ich sonst noch brauche, befindet sich in meinem Labor. Gib mir 2 Wochen. Dann komme ich wieder und wir zaubern deiner Angebeteten ein unvergleichliches Geschenk.“
„Du bist mein Retter.“, sagte Godwyn daraufhin fröhlich und zeigte ein breites erleichtertes Lächeln.
„Nun muss ich aber los, die Anderen warten bestimmt schon auf mich. Ich schicke in ein paar Tagen jemanden von uns zu dir, der die Salze abholt, dann ich die exakte Wirkung genauer austesten. … Bis bald, mein Guter.“
„Bis bald und einen schönen Tag dir noch.“, verabschiedete ihn Godwyn.

Und mit diesen Worten verließ Goudge den Laden und gleich darauf die Gasse, und kehrte zu Tekener und Bladex zurück.

Die kommenden Tage vergingen schnell und wie von Goudge angekündigt, schickte er einen Boten von ihnen, Amagan, zu Godwyn, um die Salzkristalle abzuholen. Natürlich hätte Goudge auch selbst gehen können, doch unlängst hatte er im Keller ein Experiment am Laufen, welches er nur ungern allzu lange unbeaufsichtigt laufen lassen würde.

Später am Abend kehrte Amagan zurück, stand im Türrahmen zur Gildenhalle und fragte, leicht aus der Puste, – kaum dass er in die Gildenhalle eingetreten – nach Elefele.
Diese saß mit Myolondra wieder an einer Partie Schach, schaute allerdings auf, als der etwas keuchende Amagan in der Tür stand und nach ihr verlangte. Er erzählte ihr, dass es „in Kingshill seit einigen Tagen – wenn nicht Wochen – zu seltsamen Zwischenfällen gekommen sei: Menschen verschwinden einfach spurlos; sowohl nachts als auch tagsüber. Anfänglich habe es sich nur um Obdachlose, Bettler und Taugenichtse gehandelt, doch seit ein paar Tagen verschwinden auch Knechte, Mägde, allerlei Gesellen und selbst Bäcker- und Handwerksmeister. Die königlichen Wachen hatten mich angesprochen als ich die Stadt betrat, ob ich nicht Mitglied der Tempelritter-Gilde sei. Ich bejahte und sie führten mich zum König. Dieser erzählte mir von den Vorkommnissen der jüngsten Zeit und bittet uns nun in dieser ernsten Angelegenheit um unseren Hilfe.“

Schließlich drehte sich Amagan zu Goudge, welcher sich - nach Abschluss seiner Arbeiten im Laboratorium - in seinem Schaukelstuhl in der Ecke zurückgezogen und bis eben noch ein Buch gelesen hatte, und sagte – immer noch mit keuchender Stimme – „Der Laden von Godwyn ist völlig verwüstet, Tische und Regel umgeworfen, alles liegt verstreut und zerstört auf dem Boden herum. Es scheint einen Überfall und einen Kampf gegeben zu haben, denn auf der Türschwelle habe ich Fetzen seiner Robe gefunden … und Blutspuren.“
Sofort fiel Goudge völlig perplex wegen dieser mehr als bitteren Nachricht das Buch aus den Händen. Er stand hastig auf und fragte gleich mit besorgter und ernster Stimme: „Bist du dir da wirklich sicher? Hast du dich im Laden umgesehen, eventuell hatte er sich in den Hinterzimmern versteckt?!“
Amagan schüttelte den Kopf und antwortete: „Ich habe alles im Laden abgesucht. Er war nirgends zu finden.“
Goudge sank in seinen Schaukelstuhl zurück. Entsetzt über die Entführung seines langjährigen Freundes wirkte er völlig geistesabwesend. Sein Blick war starr und keine Reaktion kam von ihm. Er überlegte, wer sowas tun könnte und vor allem ‚warum?’, jedoch fiel ihm absolut kein triftiger Grund ein.
Elefele reagierte, rief alle Templer zusammen, die nicht auf einer Außenmission waren und verkündete noch am gleichen Abend in der Gildenhalle die schlechte Nachricht:
„… und deswegen werden wir versuchen dem mysteriösen Verschwinden der Leute auf die Spur zu kommen. Jeder von uns soll Augen und Ohren offenhalten. Mit rechten Dingen kann es hierbei nicht zugehen.“

Und mit diesen Worten begann für die Templer die Suche nach Informationen über den Aufenthaltsort der Verschwundenen.

Es vergingen einige Tage. Die Templer hatten vielerorts versucht an Informationen heranzukommen, doch ihre Suche war vergebens. Das Verschwinden der Leute geschah schnell, das wussten sie. Es gab keine Augenzeugen und wenn doch, dann wurden sie bald darauf selbst zu Opfern und waren unauffindbar. Elefele und ihre Recken tappten im Dunkeln, ungewiss wer oder was diese Entführungen veranlasst hat … und vor allem … warum?

Eines Abends saßen ein paar Templer zusammen am Gildentisch. Es gab kein großes Essen, man hielt es heute klein. Man beklagte sich über schmerzende Füße, denn in den letzten Tagen waren sie unermesslich viel unterwegs gewesen, um auch nur beim kleinsten Anschein von Informationen sofort dorthin zu eilen und somit dem verwirrenden Zuständen auf die Schliche zu kommen.
Einige waren schon wieder in ihren Gemächern verschwunden, so allerdings nicht Jinnarien.
Sie saß mit einer Tasse Kräutertee am Gildentisch und schaute in die Flamme einer Kerze, die vor ihr auf dem Tisch stand und für Licht am Abend sorgte. Ihr Blick wich nicht von der Kerze, starr schaute sie in die Flamme hinein und schien sich darin zu verlieren.
Erst als Mimi sie ansprach, löste sich ihr Blick und sie fragte verdutzt: „Wie bitte? Was hattest du gesagt?“ Sie mühte sich ein Lächeln ab.
„Ich hatte gefragt, was mit dir los ist. Du wirkst so bedrückt. Alles ok?“, antwortete Mimi fragend, welche die letzten Wochen nur für kurze Zeit im Gildenhaus zugegen war, da sie in den Nordlanden aushalf.
„Ja, alles ok.“
„Sicher? Du wirkst schon die ganzen letzten Wochen so abwesend. Selbst Goudge ist das aufgefallen…“, Mimi pausierte kurz, „… und du weißt ja, dass seine Auffassungsgabe bei sowas einer Schnecke gleicht.“ Mimi lachte, und Jinnarien begann zu grinsen.
„Nunja, also… es gibt da schon etwas… Aber es ist wahrscheinlich nichts… nur ein Albtraum, durch den Met von dem Fest vor einigen Wochen.“, antwortete Jinnarien.
„Wenn dieser Albtraum dich solange beschäftigt, dann ist das nicht ‚nichts’. Erzähl mir davon!“, sagte Mimi bestimmend.
„Es ist leichter, wenn ich es dir zeige.“, entgegnete Jinnarien.
„Mir zeigen?“ Kannst du das denn?“ Ihre Stimme klang sehr überrascht.
Ohne weitere Worte legte Jinnarien ihre linke Hand auf Mimis Kopf und ihre rechte Hand auf den ihren.
„Ich fang jetzt an. Du wirst sehen, was ich gesehen habe.“, warnte Jinnarien kurz vor, doch ehe Mimi was sagen konnte, sah sie schon, was Jinnariens Albtraum war:

>>> Mimi stand in der Gildenfestung, genauer gesagt: in Jinnariens und Myolondras Gemächern. Das Bett war leer, selbst Jinnarien war nicht zu sehen. Im Zimmer brannte nur eine kleine einzelne Kerze auf dem Nachttisch. Sie flackerte ein wenig und warf mit ihrem kleinen Licht unendlich große Schatten an die Wände.
Mimi drehte sich um, ging zur Tür, öffnete sie und schaute in den Flur. Nichts. Alles dunkel. Sie rief fragend in die Leere, ob jemand da sei. Niemand antwortete.
Verwunderte schaute sich Mimi wieder im Zimmer um und suchte nach einem Hinweis für Jinnariens abwesendes Verhalten.
Sie wandte sich zum vergilbten Fenster und sah dort etwas Rotes durch das Glas scheinen.
Mimi ging langsam darauf zu, entriegelte es und riss dann das Fenster energisch auf.
Sofort als sich ihr der grauenvolle Anblick offenbarte, legte sie ihre linke Hand vor dem Mund und stützte sich mit der rechten am Fensterrahmen ab. Sie war schockiert, entsetzt, so viele negative Gefühle kamen hoch und sofort schossen ihr Tränen der Trauer und der Angst in die Augen.

Vor ihr war ein Bild der Zerstörung:

Das ferne Gebirge im Norden, in dessen Stein die Festung Teganswall einst geschlagen wurde, war nun ein einziger, riesiger feuerspuckender Berg, der schwarzen Rauch und brennendes Gestein in den Himmel schoss. Der Himmel selbst war überall komplett blutrot gefärbt und um die Spitze des Berges kreiste bedrohlich ein glühender Feuerkreis, ähnlich wie Rauch, nur eben ein brennendes Feuerinferno.
Die Flüsse, Bäche und Seen waren pechschwarz, tote Fische lagen zu Tausend am Land; die Wälder brannten lichterloh soweit das Auge reichte.
Tiere flüchteten aus den Wäldern. Panisch flogen die Vögel aus dem Wald hinfort.
Es krachte, knirschte und knisterte überall laut.
Ein Baum nah der Gildenhalle fiel um und daneben entsprang eine … Es verschlug Mimi den Atem … eine Herde brennender Rehe und Hirsche rannte aus dem Wald.
Sie stießen einen heiseren Laut aus, klagten fürchterlich. Ihre Schmerzlaute gingen Mimi durch und durch bis auf die Knochen. Die Tiere rannten zum pechschwarzen Fluss um die Flamme zu löschen, doch das Wasser vermochte nicht die Flammen zu löschen, sondern es ließ sie nur noch weiter auflodern. Das Wild verendete im dunklen Fluss, verbrannt am lebendigen Leibe … ausnahmslos.
Doch kaum, dass Mimi ihren Blick von den brennenden Kadavern und diesem schrecklich Anblick losreißen konnte, hörte sie in der Ferne - weit hinter dem Wald, dort wo Kingshill liegen müsste - laute Schreie von Menschen.
Panisches Gekreische, Geheul und markerschütternde Hilfe-Rufe fuhren Mimi durch’s Ohr direkt in alle Glieder. Und genauso schnell wie das Geschrei aufkam, wurde es auch wieder still… totenstill.
Mimi konnte ihren Augen und Ohren nicht glauben. Völlig fertig ließ sie den Kopf hängen… und sollte erst dann die, für sie wohl schlimmste, Entdeckung machen:

Die Mauern der Gildenfestung waren niedergerissen, die Türme stark zerstört, die Stallungen und der Boden um das Gildenhaus brannten. Die eingesperrten Pferde wieherten panisch, denn das Feuer kam immer näher und näher.
Auf beiden Seiten der Mauern erkannte Mim leblose Körper liegen. Sie kniff die Augen zusammen, um etwas erkennen zu können, … und erschrak fürchterlich, fiel auf die Knie und brach augenblicklich erneut in heftigen Tränen aus:

Jenseits der Mauern erblickte sie neben vielen aufgeschlitzten Drachenkadavern, kopflosen Körpern von Untoten, verbrannten Skelett-Schützen und durchbohrten Drachenberserkern die vom Kampf geschundenen Leichen ihrer Kameraden:

Winne’s Körper in seiner stahlharten Rüstung – mitten durchbohrt von einer seltsamen grünlichen Drachenklinge – lag er im Gras;
Myolandra – am ganzen Körper blutüberströmt – neben ihm;
Elefele – mit einer Klinge in der Brust steckend – hinter ihnen.
Norifundus – völlig verkohlt – am Rande der eingestürzten Mauern.
Goudge – enthauptet über den Überresten der Burgzinnen hängend.
Vampyrangel – einen Arm fehlend, wohl verblutet an den Folgen dieser schwerwiegenden Verletzung – an der Innenseite der Mauern gelegen.
Hardexxx kniend an vorderster Front – Fünf Pfeile in der Brust steckend, sein Körper durchbohrt von zahlreichen Speeren – war er völlig in sich zusammengesackt. Sein Schild und Schwert zerbrochen, für Kampf und Schutz unbrauchbar geworden inmitten der Gegnerwogen.

Und viele weitere Templer erkannte Mimi auf dem Schlachtfeld, in Blut getränkt, sich einst tapfer gegen die feindlichen Invasoren verteidigend.

Mimi konnte nicht mehr; ein lauter, bitterer Schmerzensschrein kam tief aus ihrer Kehle hervor … Plötzlich hörte sie ein tiefes, schallendes, finsteres Lachen hinter sich. Sie drehte sich hastig um. Auf einmal war alles um sie herum schwarz. Sie war im buchstäblichen Nichts. Sie drehte den Kopf schnell hin und her, und versuchte das finstere Lachen zu lokalisieren.
Auf einmal tauchte vor ihr eine Fratze auf: Fiese rote Augen und ein gewaltiges rotes Maul. Es lachte finster triumphierend, sah Mimi an und mit einer tiefen, schallenden Stimme sprach es:

„IHR WERDET ALLE BRENNEN!“

… und plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen…

 

Veröffentlicht von Goudge 13.08.2013

Teil 2

Wach auf, Mimi! Wach auf!“, hörte Mimi halbbenommen eine Stimme rufen. „Wach auf!
Sie öffnete langsam die Augen, drehte ihren Kopf in Richtung der Stimme und nahm, wenn auch verschwommen, Jinnariens Gesicht wahr.
Ehe sich Mimi richtig gesammelt hatte, fragte sie mit erschöpfter Stimme was passiert sei.
Du bist ohnmächtig geworden.“, antwortete Amagan, welcher – neben Jinnarien – bei Mimi kniete.
Jinnarien hatte ihre Hand auf deinen Kopf gelegt und dann bist du augenblicklich umgefallen, und wir sind hinübergeeilt.“, erklärte Arthurius.
Jinnarien hielt Mimi’s Hand und hatte ihren Kopf bei sich auf den Schoß gelegt.
Es muss zuviel für dich gewesen sein… Deswegen wurdest du ohnmächtig.“, sagte Jinnarien mit besorgter Miene.
Schon wieder etwas klarer über das Geschehene fragte Mimi gleich: „Ist das, was ich gesehen habe… dieses brennende Unheil… Ist das dein Albtraum gewesen?
Ja,…“, antwortete Jinnarien besorgt, „…doch ich hege Zweifel daran, ob es wirklich nur ein Albtraum war oder doch eine Vorahnung.
Immer noch auf den Boden liegend, sagte Mimi aufgeregt: „Wir müssen unbedingt Elefele und den Anderen davon erzählen –

Wovon müsst ihr mir erzählen?“, fiel ihr die Gildenmeisterin ins Wort, die – von Arthurius gerufen – nun hinter ihnen stand.
Feuer, … Tod… und Verderben werden über Duria hereinbrechen. Alles wird brennen, die Flüsse und der Himmel färben sich pechschwarz und blutrot, die Städte werden von Schergen des Bösen überrannt, und ihr alle werdet - beim verzweifelten Versuch einen Überraschungsangriff auf unsere Gildenfestung abzuwehren - getötet.“, berichtete Jinnarien mit zitternder Stimme, während ihr Tränen in die Augen schossen.
Das musst du uns genauer erklären.“ Elefele blickte auf. „– Ringo! Arthurius! Kümmert euch um Mimi.“ Und wandte sich wieder zu Jinnarien: „Setz dich erstmal. Ich hole dir einen Tee und dann berichtest du uns, was du gesehen hast.“, legte die Gildenmeisterin fest und genauso geschah es.

 

***


Nachdem Jinnarien alles erzählt hatte, was sie vor einiger Zeit vermeintlich geträumt hatte, stand Elefele neben ihr mit ernstem Gesicht auf und rief nun in die Runde an Templern, die sich mittlerweile - durch Amagan informiert - in der Gildenhalle versammelt hatte:
Ich brauche Freiwillige für eine Observierung der Gebirgskette im Norden Durias. Wer findet sich dazu berufen?
Sofort schnellten einige Hände nach oben und fast schon im Chor kam von ihnen ein lautes, bestimmendes: „ICH!
Elefele schmunzelte etwas und holte sogleich Amagan, Darkbaby und Norifundus per Handzeichen zu sich.
Ihr drei werdet euch nahe Teganswall auf die Lauer legen und uns Bericht erstatten, sobald ihr was Ungewöhnliches seht.
Alle drei nickten und gingen gleich darauf in ihre Gemächer, um sich für die Außenmission zu wappnen. Der Ausritt sollte nämlich noch heute Abend geschehen, hatte die Gildenmeisterin angeordnet, da sich die Festung fünf Tagesritt entfernt befand.

Während sich die drei Freiwilligen mit dem Nötigsten ausrüsteten, rief Elefele ein paar Vertraute zu sich: Ringo, Twitty, Goudge und Ernest.
Sie wollte morgen zum König Harold nach Kingshill reisen, um mit ihm noch mal persönlich über die aktuellen Vorkommnisse zu sprechen, nachdem er uns - über Amagan als Boten - um Hilfe gebeten hatte. Womöglich wussten er und seine Generalstab bereits mehr.
Die vier sollten sie begleiten, um sich gleichzeitig noch in der Stadt bei den Bewohnern selbst nach neuen Informationen zu erkundigen.

Wenig später am Abend schwangen sich die drei Recken auf ihre Pferde.
Der Mond war schon bereits aufgegangen, schien durch die dunklen Wolkenfetzen immer wieder kurz hindurch und tauchte damit den Gildenhof der Templer in ein weißlich schimmerndes Licht, bevor er wieder verschwand und nur noch die Fackeln an den Mauern für spärliche Sicht sorgten. Es war still. Nur die Pferde wieherten leise und schabten mit den Hufen. Kein Zirpen der Grillen, kein Rascheln in den Gebüschen und auch kein Wolf in der Ferne waren zu hören. Die heutige Nacht schien die Geräusche der Natur verschluckt zu haben, damit ein jeder Tritt der Pferde wie ein lautes Donnergrollen in der Ferne zu hören war.
Kurz bevor sie aufbrachen, trat Goudge an Amagan heran.
Das wirst du brauchen.“, sagte er und drückte ein in Leinen gewickeltes Ding in Amagan’s Hand.
Was ist das?“, fragte er verwundert.
Ein Fernglas – Ich brauche es gerade nicht und da außer mir keiner von uns so was besitzt, dachte ich mir, dass es dir bei deiner Observierung womöglich hilfreich sein könnte.“ Goudge zwinkerte Amagan zu und grinste: „Aber bring’s mir ja in einem Stück wieder.
Amagan bedankte sich, verstaute das Fernglas in einer seiner Satteltaschen, und gab Darkbaby und Norifundus ein Zeichen, dass er bereit sei.
So verließen sie im Schutze der nächtlichen Dunkelheit die Gildenfestung.

Unterdessen forderte Elefele die restlichen Tempelritter dazu auf in Alarmbereitschaft zu verweilen. Denn sobald die “Späher“ entsprechende Informationen liefern, kann es jederzeit zum Kampf kommen. Die treuen Mitglieder stimmten dem zu und sprachen sich ab, wie die Gildenfestung wohl am Besten abzusichern wäre. Die Gespräche dauerten noch eine ganze Weile. Im Laufe der Nacht kehrte dann jedoch langsam wieder Ruhe ein in der Gildenfestung und die Tempelritter waren in ihren Gemächern verschwunden.

 

***


Winne, Ringo, Ernest, Hardex und Sanixpverlöp beschlossen am kommenden Morgen im Wald einige Bäume zu fällen und Steine aus dem Fels zu schlagen, damit die Waldläufer und Magier aus dem Holz spitze Pfähle für den Bereich rings um die Mauern und stärkere Barrikaden für das hölzerne Gildentor bauen können. Zudem hatte Tekener die Idee für ein kleines Katapult geäußert und für jenes wurde “schwere Munition“ benötigt.
Sogleich begannen zur selben Zeit Myolandra und Aponax Blaupause für die verstärkten Verteidigungsanlagen, also die Barrikaden und das Katapult, zu entwerfen.

Während die Aufgabe eines jeden Einzelnen untereinander ausgemacht wurde, saßen Elefele und Jinnarien in der Gildenhalle am Gildentisch mit einem Kräutertee beieinander. Sie sprach mit Jinnarien in der Hoffnung, weitere Informationen zu erhalten. Leider konnte sie ihr immer wieder nur das berichten, was sie ihnen bereits am gestrigen Abend mitgeteilt hatte.
Jinnarien druckste rum, spielte nervös mit den Fingern und es war ihr sichtlich unangenehm, dass sie es so lange vor ihrer Gilde verheimlicht hatte. Andererseits wollte sie sie auch nicht mit einfach nur einem Albtraum belästigen.
Elefele beruhigte sie, nahm ihre Hand und sagte zu ihr mit einer ruhigen und fürsorglichen Stimme, dass sie sich nicht schämen bräuchte. Alles würde gut werden.
Nochmals versuchte sich Jinnarien an irgendwelche Details zu erinnern, die sie vorher vielleicht außer Acht gelassen hatte. Doch leider ohne Erfolg.
Nicht schlimm.“, beruhigte Elefele sie, „Leg’ dich noch mal hin. Du hast viel deswegen durchgemacht, okay?
Jinnarien nickte zustimmend und begab sich gleich darauf in ihre Gemächer, um sich von den Strapazen des Albtraums zu erholen.

 

***


Derweil suchte Elefele ihre vier Begleiter zusammen, denn sie wollte bald nach Kingshill aufbrechen. Die vier übergaben ihre Arbeit in die fleißigen Hände ihrer Gildenkollegen und machten sich zur Abreise bereit.
Kurze Zeit später schwangen sich die fünf Templer auf ihre Pferde und ritten durch das hölzerne Gildentor vom Gildenhof nach Kingshill los.
Ein paar Stunden später erreichten sie die Zugbrücke zur Stadt. An einem Holzstamm mit den Zügeln angebunden, ließen sie ihre Pferde zurück und gingen über den großen Markt, vorbei an den zahlreichen Händler, Handwerkern und Kaufleuten, vorbei an der königlichen Statue, direkt zum Schloss.
Der königliche Botschafter - ein fein angezogener, junger Mann mit einigen wertvoll aussehenden Schriftrollen in den Taschen seiner Robe - lief bei den Wachen vor dem Tor des Schlosses auf und ab. Elefele sprach ihn an und fragte nach einer Audienz beim König, um über das seltsame Verschwinden von Leuten in Duria zu reden.
Der Mann musterte sie kurz schweigend, sah danach an ihr vorbei, hin zu ihren Gefährten und sagte mit fester Stimme: „Drei von Ihnen müssen draußen bleiben. Die seltsamen Vorfälle der jüngsten Zeit zwingen uns die Schutzmaßnahmen gegenüber dem König, ungeachtet Ihrer Position, drastisch zu verschärfen. Ihre Begleiter können gerne solange hier auf Sie warten.
Die Gildenmeisterin willigte ein, drehte sich um und signalisierte mit einer Handbewegung, dass sie Ringo begleiten sollte. Sie sagte nichts weiter. Ihre fleißigen Templer wussten bereits, was nun ihre Aufgabe war: Informationssuche.


Während Ernest und Twitty zum Markt gingen, um dort mit den Stadtbewohnern und Händlern zu reden, machte sich Goudge alleine auf, in eine der zahlreichen Seitengassen der Stadt. Er bog in die nächste Quergasse ein, lief bis fast ans Ende, bog erneut ab und lief – schnurstracks – wieder bis fast ans Ende. Unterwegs hielt er nur selten an, um hier und da die ihm entgegenkommenden, zwielichtigen Passanten zu befragen. Natürlich wusste keiner etwas … und falls doch, würden sie es ihm wahrscheinlich eh nicht sagen. Ein Vertreter von Recht und Ordnung. Hier?! Natürlich war er nicht gern gesehen.

Immer tiefer drang Goudge in die hinteren Gassen der Stadt ein. Nun waren nur noch sehr, sehr wenige Menschen anzutreffen. Die Läden sahen von außen heruntergekommen aus. Marodes Holz und Mauerwerk. Durch die vergilbten Scheiben waren, wenn überhaupt, nur Silhouetten erkennbar. Krumme Geschäfte wurden dort betrieben. Schwarzhandel mit allerlei exotischem Schnickschnack. Wer hier einkaufte, tat dies nur ‚unter der Ladentheke’.
Goudge beschleunigte seine Schritte. Vorbei an seltsamen, buckligen, alten Frauen, die ihm Tränke für allerlei Aberglaube verkaufen wollten, und vorbei an der ein oder anderen dunklen Gestalt, die in den finsteren Gassen zwischen den alten Fachwerkhäusern auf ihre Kundschaft warteten, bis er schließlich vor einer der zahlreichen Spelunken stoppte: 'Zur Trauerweide'.
Sehr einladend.“, dachte er sich, öffnete die Holztür, dessen Scharniere dabei laut quietschten, und trat ein.

 

***


Drinnen war es dunkel. Nur wenig Licht fiel durch die verdreckten, ja fast schon grünlichen Glasfenster, was wiederum für die Gäste dieser Kneipe allerdings sicher kein Problem darstellte. Es roch modrig und staubig. Die Dielen des Holzfußbodens knarrten bei jeder Bewegung und die Wände sahen sehr heruntergekommen aus.
An den zahlreichen alten Holztischen und -stühlen saßen nur wenige Leute. Hinten in der Ecke hatte sich ein Säufer seiner Flasche ergeben und schnarchte wohl stockbesoffen, mit dem Kopf auf dem Tisch, umher. Unweit davon saß an einem anderen Tisch ein Mann, dessen Gesicht durch das wenige Licht zum größten Teil im Schatten verborgen lag. Seine Füße auf dem Tisch, schnitzte er mit einem Jagdmesser einen Holzpfahl zurecht. Weiter vorne befanden sich ein paar Kerle mit Bierkrügen, die zusammen Poker spielten. Immer wieder hörte man:
Wir spielen hier Poker und nicht Solitär, du alter Knacker.“,
Hör auf mir in die Karten zu gucken, du Halunke!“,
Du betrügst doch!
Dennoch blieben sie ruhig.
Goudges Blick wanderte hinüber zur anderen Seiten. Links an der Wand befand sich die Bar. Ein dicker, bärtiger, teilweise schon glatzköpfiger Mann mit einem weißen verknitterten Hemd und einer schwarzen kleinen Weste stand hinter dem Tresen. Er hatte einen Bierkrug in der Hand und wischte ihn gerade mit einem runzeligen, schon fast völlig zerfressenen Lappen trocken, nachdem er ihn kurz zuvor ausgespült hatte. Dabei schaute er, mit gesenktem Kopf, ein wenig gedankenverloren auf die Barhocker vor ihm.
Goudge ging mit gemächlichem Schritt auf den Tresen zu. Die Polsterung der Barhocker war schon richtig zerzaust und die Holzbeine sahen etwas brüchig aus.
Er nahm Platz, lehnte sich etwas vor und sagte nur mit forscher und gleichgültiger Stimme: „Einen Whiskey bitte.
Der Barmann antwortete nicht, sondern holte unter dem Tresen ein Glas hervor, stellte es vor seinen neuem Kunden hin und griff hinter sich nach der Whiskeyflasche, um ihm gleich etwas einzuschenken.
Danke.“ Goudge nahm einen kräftigen Schluck, stellte das Glas wieder hin und schaute langsam ein wenig nach links und nach rechts. Er wollte sich vergewissern, ob noch weitere Gäste, vielleicht irgendwo in den hinteren Ecken, saßen. Niemand zu sehen.
Er wandte sich wieder dem Barmann zu, welcher nun wieder den Bierkrug mit dem zerfressenen Lappen säuberte.
Haben Sie vielleicht einen Tipp, wo ich ein paar Informationen über das Verschwinden der Leute herbekommen könnte?“, fragte Goudge und musterte dabei das Gesicht seines Gegenübers.
’Nen Tipp? – Nee, den hab’ ick nich’, aber vielleicht ham’ Sie ja eenen.“, antwortete der dicke Mann und zeigte dabei mit seinem Kopf in Richtung eines größeren Einmachglases, auf dem ein Papierfetzen klebte mit der Aufschrift: ‚T.I.P.’
Goudge verstand die Geste, kramte in seinem Geldbeutel, warf eine Silbermünze ins Glas und fragte dann sogleich: „Und? Wie schaut’s jetzt aus?
Nunja…“ Der Barmann pausierte kurz. „Zwa’ kann ick Ihnen nüscht über dat Verschwinjen der Leute sajen, aber ick kenn’ da jemanjen, der Ihnen dabe’ weeterhelfen könn’.“ Er stellte den Bierkrug ins Regal hinter sich und schnappte sich gleich den nächsten mit dem Lappen. „Zwa’ herrscht unser König Harold über Duria, mitsamt seenen Dörfern und Städtschen, aber die Unterwelt det Landes kann er nich’ kontrolljieren. Da zieht wer anders die Fäden.
Und wer ist das? Wie heißt er?“, fragte Goudge gleich interessiert nach.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zeigte der Barmann wieder mit seinem Kopf in Richtung des großen Einmachglases. Goudge rollte die Augen, griff nach einer weiteren Silbermünze und schnipste sie ins Glas.
Ick seh’ schon, wir verstehjen uns. – Den Mann, den se’ suchen, heeßt Ewalt Zolner. Er is’ der Boss. Jeder Kleenkriminelle, von hier bis hoch in den Norden, arbeetet für ihn. Bei Überfallen, Glücksspielen, Luch und Betruch, ejal wo, er hat seene Finger im Spiel.
Und er kann mir etwas über das Verschwinden der Leute erzählen?
Klar… vorausgesetzt du kommst mit ihm ins Geschäft.
Ins Geschäft?
Jop. Für umsonst gibt’s hier nüscht. Besser wär’, du würdest dich mit ihm jutstellen.
Wo finde ich diesen Ewalt Zolner?
Wieder zeigte der Barmann mit seinem Kopf auf das Einmachglas, und Goudge warf sogleich eine weitere Silbermünze hinein. Der Barmann türmte sich nun hinter dem Tresen auf und rief: „Hey! Du! Komm’ mal her.
Goudge drehte sich um, und sah wie der Mann, welcher bis eben noch am Holzpfahl geschnitzt hatte, nun den Kopf hob, langsam aufstand, das Jagdmesser und den Holzpfahl in seinem langen Mantel verschwinden ließ und auf den Tresen zukam.
Sein Gesicht war etwas runzlig und vernarbt. Seine Augen und Lippen klein und schmal. Ein brauner Vollbart zierte sein eckiges Gesicht.
Hier will jemand mit dem Boss reden.“, sagte der Barmann zum unbekannten Mann.
Mit tiefer, rauchiger Stimme antwortete er: „Kein Problem.“, wandte sich dem Weißbrot auf dem Barhocker zu und sagte: „Du willst also zu Zolner? Was willst du von ihm?
Ich will ihn zu dem Verschwinden der Leute in letzter Zeit befragen.“, antwortete Goudge.
Tssss…Leute verschwinden eben… Sowas passiert… wenn man seine Schulden beim Boss nicht begleicht.
Mir geht es um keinerlei Schulden.
Hmm…“ Er musterte ihn mit argwöhnischem Blick. „Nun gut. Komm’ in einer Stunde wieder hierher und ich bringe dich zu ihm.
Ich werde nicht allein kommen. Ein paar meiner Kameraden werden dabei sein, und eventuell auch meine Gildenmeisterin.
Hmm…“ Der Mann kratzte sich am Bart. „Das sollten wir hinkriegen… Vorausgesetzt, ihr seid bereit für diesen Mehraufwand zu zahlen.“ Er blickte Goudge fest entschlossen in die Augen.
Daran soll es nicht scheitern.
Dann sehen wir uns in einer Stunde wieder.“, verabschiedete sich der Mann, ging zu seinem Tisch zurück, holte den Holzpfahl und das Messer wieder hervor und fuhr mit seiner Schnitzerei fort.
Goudge drehte sich wieder zum Barmann.
Darf’s sonst noch wat sein?“, fragte dieser gleich nach, während er immer noch den zweiten Bierkrug mit dem zerfressenen Lappen säuberte.
Goudge winkte ab, nahm einen letzten kräftigen Schluck vom Whiskey, warf drei Silberlinge auf den Tresen und verlies die Spelunke wieder.
Als er wieder draußen auf der Straße stand, musste er erstmal die Augen zusammenkneifen. Es war hier so hell. Drinnen, im Zwielicht, ist ihm das gar nicht so sehr aufgefallen.
Schnell atmete er noch mal tief durch, ehe er sich dann mit raschem Schritt in Richtung des Hauptmarktes begab, zu Ernest und Twitty.

 

***


Zwischenzeitlich wurden Elefele und Ringo vom königlichen Botschafter erst in die Vorhallen, und danach in den Thronsaal gebracht. Es war ein großer, hoher Raum mit allerlei pompösen Zeug: Wandgroße Gemälde des Königs und des Schlosses, mit Gold verzierte Säulen, ein langer, roter Teppich, Samtvorhänge überall, alte Rüstungen standen in voller Pracht vor jeder Säule. Für Normalsterbliche bot sich ein erhabener Anblick, aus dessen Staunen und Schauen sie nicht so schnell herauskommen würden.
Dort, am Ende des riesigen Raumes, saß König Harold in einem ebenfalls mit Gold verziertem Thron, umgeben von Beratern, die ihm verschiedene Schriftrollen vorlegten, die er sich durchlesen musste und unterschreiben sollte. Etwas genervt stützte der König sich mit dem Ellenbogen an der Armlehne ab und fasste sich dabei mit der Hand an die Schläfe.
Der königliche Botschafter trat mit den Gästen vor und erhob das Wort:
Mein König. Verzeiht, dass ich Euch bei Euren dringenden Geschäften störe, aber diese Herrschaften hier erbaten um eine Audienz bei Euch. Ihr hattet sie bereits um Unterstützung, in Bezug auf die Vorkommnisse der jüngsten Zeit, gebeten. Sie sind nun hier, um mit Euch zu sprechen, meine Hoheit.
König Harold blickte auf, er wirkte etwas genervt von seinen Beratern, aber entgegnete sogleich: „Ah, sehr gut. Die Tempelritter. Es freut mich sehr euch wiederzusehen, werte Elefele. Wie tragisch, dass es unter solchen Umständen, in solch schwierigen Zeiten nun sein muss. Was führt euch zu mir? Ich hoffe doch, ihr habt bereits etwas über das Verschwinden meiner Untertanen herausfinden können.
Mein König. Leider muss ich euch enttäuschen. Meine Templer haben jede Stadt und jedes Dorf nach verwertbaren Informationen bereist, doch keiner konnte ansatzweise etwas über die seltsamen Geschehnisse der jüngsten Zeit herausfinden. Lediglich der Albtraum einer meiner Mitglieder vermag etwas Licht ins Dunkle zu bringen. Es scheint, als ob sich Duria bald nicht nur einer großen Menge verschwundener Leute, sondern auch einer ernsthaften Bedrohung für das gesamte Königreich stellen müsste.“, antwortete Elefele gewissenhaft, während sie dabei von den Beratern des Königs gemustert wurde.
Wie meint ihr das? Ein Albtraum?“, fragte der König stutzig nach.
In diesem Albtraum sah eine Templerin von uns das Land in Schutt und Asche liegen. Ein feuerspeiender Vulkan im Norden Durias, schwarze Flüsse und Seen, ein blutroter Himmel und Schergen des Bösen, die über die Städte und Dörfer herfallen werden und die Stimmen ihrer Bewohner zum Erlöschen bringen. Das alles wird passieren, ehe ganz Duria dann vom Feuer verschluckt wird.“ Sie pausierte kurz. „Es wäre am Besten, wenn weitere königliche Suchtruppen entsandt werden. Meine Templer allein können diese Aufgabe nicht bewältigen. Auch sollten die Bewohner der umliegenden Dörfer in die Städte gebracht und die Mauern der Städte selbst verstärkt werden, für den Fall eines baldigen Angriffs. Zudem könnte man –
Einer der Berater unterbrach Elefele: „Mein König. Bei aller Ehre gegenüber der Gildenmeisterin, aber sollten wir wirklich auf den Traum einer einzelnen Person achten? Wie würden die Untertanen reagieren, wenn sie hören, dass ihr mächtiger König Harold die Albträume einer Frau für
bare Münze nimmt und darauf derartig reagiert? Ich gebe zu, die Vorkommnisse der letzten Zeit sind ungewöhnlich, wenn nicht besorgniserregend, aber wir können keine weiteren Truppen aus der Stadt entbehren. Wir sollten die uns verbliebenen Soldaten nutzen, um die Stadt abzuriegeln, damit weiteres Verschwinden unmöglich gemacht wird.


Der König kratzte sich an seinem weißen Bart und begann zu grübeln.
Sich hier zu verstecken, ohne etwas zu tun und darauf zu hoffen, dass sich das Problem von selbst löst, wäre töricht!“, gab Elefele zu bedenken. „Solange wie wir die Möglichkeit haben, sollten wir die Suchtruppen verstärken. Womöglich können wir das, was meine Templerin in ihrem Traum gesehen hat, verhindern. – Nein. Ich bin sogar fest davon überzeugt, dass wir das können!
Mein König. Ich denke, die Gildenmeisterin schenkt ihrer Templerin etwas zuviel Vertrauen in dieser Sache. Albträume hat ein jeder Mensch, aber deswegen werden nicht gleich die Truppen mobilisiert. Vermutlich reagiert sie zu überheblich und verkrampft sich zu sehr auf diesen Traum, da ihre Informationsbeschaffungen im Sande verliefen. Meine Hoheit. Ihr solltet –
Hier unterbrach der König energisch seinen Berater: „Was ich in meinem Königreich tun oder nicht tun sollte, obliegt immer noch mir. In der Vergangenheit haben uns die Tempelritter treue Dienste erwiesen und uns schon mehr als einmal vor den Schergen des Bösen bewahrt.
Ich denke, ihr überschätzt eure Position, Berater.
Aber –
Kein aber!“, warf König Harold scharf ein.
Er wandte sich wieder der Gildenmeisterin zu und fragte: „Seid ihr euch sicher, Elefele, dass es sich bei dem Traum eurer Templerin nicht einfach nur um einen Traum, sondern womöglich um eine Art Vorahnung handelte? Seid ihr nach wie vor der Meinung, dass die Suchtruppen verstärkt, die Dorfbewohner in die Stadt geholt und selbige für einen feindlichen Angriff verstärkt werden sollte?
Ja.“, kam die Antwort kurz und knapp.
So sei es. Du, Botschafter! Holt mir meine Generäle her. Ihr, Berater! Ihr dürft euch zurückziehen. Und euch, Elefele, möchte ich meinen Dank aussprechen, dass ihr uns in dieser Zeit wieder tatkräftig zur Seite steht. Solltet ihr irgendetwas für euer Tun benötigen, so lasst es mich wissen.
Im Namen meiner Templer und mir möchte ich euch, mein König, mitteilen, dass wir uns geehrt fühlen. In der Tat gäbe es etwas, was wir benötigen würden: Gibt es Aufzeichnungen über die bisherigen Informationen zum Verschwinden der Leute?“
So gerne ich euch hierbei helfen wollen würde, so muss ich euch leider sagen, dass unsere Suche nach Hinweisen ebenfalls von Misserfolg geprägt war. Meine Spione und Späher konnten keinerlei verwertbaren Informationen sammeln. Die Zukunft liegt in einem dichten Nebel, dessen Ende wir einfach nicht erfassen können.“, antwortete der König mit besorgter Stimme und beklommener Miene.
Elefele grübelte eben. „Nun gut. Umso wichtiger ist es nun, dass unsere Suche nach allerlei Hinweisen erfolgreich verläuft. Wenn ihr mich entschuldigt, ich würde nun wieder zu meinen Templern zurückkehren.
Es sei euch gestattet. Ich hoffe, dass die Suche bald erste Ergebnisse liefern wird. Gehabt euch wohl.
Gehabt euch wohl, mein König.“, verabschiedete sich Elefele höflich und verließ mit Ringo zusammen den Thronsaal. Kaum dass sie außer Hörreichweite waren, stieß Ringo mit seinem Ellenbogen seiner Gildenmeisterin in die Seite und sagte: „Was für ein Arsch. Also dieser Berater.
Elefele grinste, entgegnete aber: „Du musst ihn verstehen. Auf seine Art und Weise versucht er nur den König zu schützen.“ Sie pausierte kurz. „Aber du hast Recht, er war ein Arsch.“, sagte sie leicht grinsend und zwinkerte Ringo dabei zu.
Draußen vor dem Schloss schauten sich beide nach ihren Templer-Kollegen um, fanden aber niemanden.
So wie ich die drei kenne, sind sie beim Hauptmarkt und fragen weiterhin Leute aus.“, sagte Ringo schließlich. Wortlos gingen die Beiden los und in der Tat trafen sie dort dann Ernest und Twitty, die gerade noch einen der Stadtbewohner befragten.
Wo ist Goudge?“, fragte Elefele verwundert. Just in diesem Moment kam dieser aber aus einer der Seitengassen heraus, sah seine Mitstreiter und ging auf sie zu.
Und? Habt ihr etwas herausfinden können?“, wollte die Gildenmeisterin nun wissen.
Ernerst und Twitty verneinten.
Es gäbe eventuell eine Person, die uns weiterhelfen könnte.“, warf Goudge ein.
Und wen?“, fragte Ernest.
Ewalt Zolner. Er scheint sowas wie der oberste Boss zu sein, wenn es um kriminelle Aktionen jeder Art geht. In einer Stunde sollen wir uns bei der Kneipe ‚Zur Trauerweide’ einfinden, dann werden wir zu ihm gebracht… gegen einen kleinen Obolus versteht sich.
Das scheint wohl unsere einzige Chance zu sein irgendwie an Informationen zu kommen. Die Stadtbewohner wissen leider nichts.“, gab Ernest zähneknirschend zu.

 

***


Ohne weitere Umschweife führte Goudge seine Mitstreiter ‚zur Trauerweide’. Auf dem Weg dorthin sah er in ihren Gesichtern deutlich die Ablehnung gegenüber der Zusammenarbeit mit Kriminellen. Allerdings hatten sie keine andere Wahl. Die Zahl der Entführten wurde immer höher, und sie selbst stocherten bei der Suche nach Hinweisen im Dunkeln. Sie mussten jede Gelegenheit nutzen, die es gab, um nun dem Treiben auf die Schliche zu kommen.

Die fünf Tempelritter warteten in der Kneipe. Sie hatten an einen der alten Holztische Platz genommen und sich jeweils ein Glas Whiskey bestellt. Der Barmann kam mit den Gläsern.
Na?! Dit sind also deene Kollejen? Na ick hoffe ma’, dat ihr beim Boss ’nen juten Eindruck macht.
Kann man bei einem Kriminellen denn überhaupt einen schlechten Eindruck hinterlassen?“, entgegnete Ernest sarkastisch. Ihm gefiel es nicht, dass sie sich nun auf einen solchen Menschen verlassen mussten. “Verbrüderung mit dem Feind“, so kam es ihm vor, schließlich waren die Tempelritter dafür bekannt Recht und Ordnung zu vertreten, und nun müssten sie mit jemanden zusammenarbeiten, der eben diese Ordnung zerstört und das Recht missachtet.
Der Barmann nahm es locker und lachte.
Dit is’ jut. Du jefällst ma’.“ Nachdem er die Gläser abgestellt hatte, ging er wieder zurück zu seinem Tresen und wischte ihn mit dem zerfressenen Lappen von vorhin sauber.
In der Kneipe war es nun etwas voller geworden. Waren vorhin nur wenige Leute hier, so gab es mittlerweile nur wenige freie Tische. Kriminelle, zwielichtige Gestalten, Quacksalber, Hütchenspieler und allerlei sonstige Betrüger und hinterliste Personen hatten sich hier eingefunden. Sie tranken viel, versuchten einander auszustechen. Man hörte Getuschel und Geflüster. Ernest drehte sich innerlich der Magen um. Ein solches Unbehagen hatte er selten. Am Liebsten hätte er sie allesamt in Gewahrsam genommen und dem Richter vorgeführt für ihre vermeintlichen Verbrechen.
Die Gläser der Templer leerten sich und es dauerte nicht lange, bis schließlich der Mann mit dem Holzpfahl von vorhin zum Tisch der Templer herantrat. Ohne zu grüßen oder sich vorzustellen kam er gleich zur Sache: „Ihr wollt also zum Boss. Habe ich das richtig verstanden?
Goudge nickte.
Soo, das macht dann drei Goldtaler pro Nase.
Warum? Nur damit du uns zu ihm bringst?“, fragte Ernest forsch nach.
Da hält sich wohl einer für ganz schlau, was? Vier Goldtaler nun. Und ‚ja’, schließlich könnt ihr es euch abschminken ihn ohne mich zu finden.
Ernests Gesicht sah angespannt aus. Die Augen bedrohlich zusammengekniffen, seine Lippen zusammengepresst, die Nasenlöcher geweitet. Mit bösem Blick sah er den Mann an.
Na was ist mein Dicker? Brauchst mich doch nicht so anzusehen.“, provozierte er Ernest.
Ich sollte dir –
Ernest! Halt!“, warf Elefele in diese brisante Situation ein, um eine Ausartung zu verhindern. Ihr gefiel die Art und Weise wie der Mann mit ihnen umsprang zwar ebenfalls nicht, aber sie brauchten ihn leider. „Reg dich wieder ab.“ Sie wandte sich dem Mann zu. „Vier Goldtaler? Einverstanden. Führe uns zu deinem Boss.“ Sie griff in ihren Geldbeutel, stand auf und drückte dem Mann die 20 Goldtaler in die Hand.
Sehr schön. Wenigstens behält sie einen kühlen Kopf.“ Er schaute Ernest dabei an, welcher seine Wut schon sehr zurückhalten musste.

 

***


Die fünf Templer verließen zusammen mit dem Mann die Spelunke. Sie gingen bis ans Ende der Straße, bogen dort in eine Seitengasse ein, folgten ihr und bogen dann erneut in eine Quergasse ein, der sie wieder ein Stück folgten. Schließlich stoppte der Mann vor einem nach außen hin heruntergekommenen Haus. Es war ein altes Fachwerkhaus. Die Holzbalken waren schon sehr vermodert und der Stein bröckelte bereits an manchen Stellen. Die Fensterscheiben waren geschwärzt und die Tür schien schon von Holzwürmern zerfressen zu sein.
Der Mann klopfte an die Tür. Einmal lang, dreimal kurz und wieder einmal lang. Das schien eine Art Erkennungscode zu sein. Die marode Tür ging kurz danach quietschend auf und ein Schrank von einem Mann stand im Türrahmen. Wobei er nicht wirklich ‚im’ Türrahmen stand, denn er war viel zu groß und viel zu kräftig gebaut dafür. Selbst Ernest sah im Vergleich eher schmächtig aus.
Hey, Rumold. Zieh nicht solch’ ein Flatschen. Hier sind ein paar Leute, die den Boss sprechen wollen.“, sagte der Mann zu dem im Türrahmen. Dieser schaute mit seinen kleinen Augen zu uns rüber. Er besaß ein eher kantiges Gesicht, kein Bart, keine Narben… und keine Haare, aber dennoch erst im mittleren Alter. Seine Oberarme waren dick wie Baumstämme und seine Schultern seeehr breit. Er trug eine Art Anzug, sollte wohl professionell aussehen, jedenfalls schien er ihm bei jeder kleinsten Bewegung an den Nähten aufzuplatzen.
Rumold musterte die fünf Tempelritter akribisch, bis er sich schließlich im Türrahmen umdrehte und mit tiefer, aber heller Stimme rief: „Boss. Hier sind fünf halbe Portionen, die dich sprechen wollen.
Lasst sie rein.“, hörte man von drinnen zurückrufen.
Rumold trat aus dem Türrahmen und der Mann machte eine einladende Geste.
Die fünf Templer gingen hinein.

Von drinnen sah das alte Fachwerkhaus ganz anders aus, als man es von außen vermuten würde. Die Dielen des Holzfußbodens knarrten nicht, sie waren fein poliert. Die Wände sauber, überhaupt nicht bröckelig, und in einem dunklen, lila Farbton gestrichen.
Die Decke war viel höher, als es normal üblich. Von ihr hing ein kleiner Kronleuchter, auf dem einige Kerzen brannten. Vereinzelt standen in den Ecken und an den Seiten Stühle und Bänke, an denen einige Männer saßen. Scheinbar seine Leute. Hinten in der Ecke waren große Regale, die vor Bücher fast schon überliefen. Etwas weiter hinten im Raum stand zentral ein großer Schreibtisch, dahinter saß in einem prächtigen Stuhl ein fein angezogener Mann, der seine Gäste aufmerksam beobachtete. Neben ihm standen wieder zwei schrankgroße Männer. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Rumold hatten sie schon, allerdings trugen diese hier an ihren Gürteln eine Scheide, mit einem großen Schwert. Es handelte sich hierbei wohl um die Leibwächter.

Bevor Elefele und ihre Mitstreiter jedoch sich weiter im Raum umsehen konnten, stand wieder Rumold vor ihnen. „Eure Waffen. Her damit!
Bitte gebt eure Waffen ab. Es ist hier nicht üblich vollbewaffnet dem Boss gegenüber zu treten.“, ergänzte der Mann und versuchte dabei höflich zu klingen. „Wir werden sie für euch solange hier verwahren.“, und verwies dabei auf einen Ecktisch neben der Tür.
Elefele –“, wollte Ernest protestieren.
Gebt ihm eure Waffen.“, befahl sie, ohne dabei auf Ernest einzugehen.
Die fünf Tempelritter gaben dem Mann ihre Schwerter, Ruten und Bögen. Er legte sie gleich auf den Tisch und gab per Handzeichen, an zwei der Männer auf den Stühlen, den Befehl hierauf aufzupassen. Nun wandte er sich wieder Elefele zu und äußerste höflichst: „Der Boss erwartet euch nun.“ Sie trat vor, die vier Mitstreiter waren hinter hier und überließen ihr das Reden.
Trotz der moralisch bedenklichen Situation blieb Elefele höflich und gelassen.
Guten Tag Herr Zolner. Mein Name ist Elefele und ich bin die Gildenmeisterin der glorreichen Tempelritter. Wir sind hier, weil –
Ich kann mir denken, weswegen sie hier sind.“, unterbrach er sie. „Nennen Sie mich Ewalt. ‚Herr Zolner’ klingt so förmlich. Wir sind hier doch schließlich unter uns und Sie brauchen für niemanden die Etikette bewahren.“ Dabei lehnte er sich in seinem Stuhl ein wenig zurück und faltete seine Hände über seinem Bauch. „Sie sind hier, weil Sie Informationen über die vermissten Personen möchten. Ist es nicht so?“ Er zog die linke Augenbraue hoch und schaute Elefele auffordernd an.
So ist es.“, antwortete sie und wollte weiterhin den formellen Tonfall wahren, „Uns wurde versichert, dass Sie uns etwas über diese Vorfälle berichten könnten.
Er grinste. „In der Tat. Das könnte ich.
Würden Sie, Ewalt, uns dann bitte über die aktuelle Lage genauer aufklären?
Er lachte. „Ihnen ist schon klar, dass Sie hier nicht bei der Wohlfahrt sind, ja? – Keine Informationen ohne eine Gegenleistung.“ Zolner lehnte sich in seinem Stuhl wieder nach vorne und stützte sich dabei etwas auf seinem Tisch ab. „Wie Sie sehen können, bin ich ein vielbeschäftigter Mann.“ Er verwies auf einen Papierstapel links von ihm. „Was können Sie mir bieten?
Elefele wusste nicht, was er genau hören wollte. „Wir sind im Auftrag des Königs unterwegs und –
Ach… der König.“ Er winkte ab. „Dieser Narr würde den Quell des Übels doch nicht mal erkennen, selbst wenn er direkt vor seiner alten, runzligen Nase läge. Der Mann ist alt und schwach. Er sollte einen Thronfolger benennen und seine letzten Lebenstage dazu verwenden als Tattergreis im Schaukelstuhl auf seinen Schöpfer zu warten.“ Er lachte wieder, diesmal allerdings etwas lauter. Seine Leute stimmten ins Gelächter ein.

Elefele sah sich verwundert und etwas ratlos um. Jeder dieser Gauner lachte nur über den König. Ihre vier Mitstreiter sahen zähneknirschend zu, wie sich die Gesichter dieser Kriminellen vor Lachen zu hässlichen Fratzen verzogen, wie ihre kleinen fiesen Augen durch das breite Grinsen und ihre weißgelben Zähne betont wurden, und wie sich manche sogar vor Lachen den Bauch halten mussten.
RUHE!“, schrie Zolner schließlich laut und augenblicklich waren seine Leute wieder ruhig.
Er stand nun von seinem Stuhl auf und ging zur kleinen Anrichte hinter ihm. Dort nahm er eine gläserne Karaffe und goss sich einen Schluck Whiskey ins Glas. „Möchten Sie auch etwas?“, fragte er schließlich und drehte sich um.
Nein, danke. Wir hatten bereits.“, entgegnete Elefele.
Ich verstehe. – Nun gut. Also wie Sie sehen, ist uns die königliche Hoheit relativ egal. Meinetwegen könnten Sie auch der königliche Botschafter höchstpersönlich sein, es würde doch nichts an Ihrer Situation ändern.“ Er schwenkte sein Glas leicht, nahm einen Schluck, setzte sich wieder auf seinen Stuhl und stellte seinen restlichen Whiskey auf den Tisch.
Genug um den heißen Brei herumgeredet. Sie wollen Informationen über die Vermissten, und ich will, dass sie etwas für mich als Gegenleistung erledigen.
Was möchten Sie als Gegenleistung?“, fragte die Gildenmeisterin.
Ich möchte, dass Sie mir einen magischen Stein besorgen.
Elefeles Blick war fragend.
Es handelt sich dabei natürlich nicht um einen normalen magischen Stein. Nein. Ich rede hier von DEM magischen Stein. Den sogenannten Damian-Stein.

Schlagartig weiteten sich Goudges Augen. Seine Ohren spitzten sich, seine Lippen bebten und leichter Angstschweiß lief ihm die Schläfe hinunter. Sein Blick wurde starr.
Ein Damian-Stein? Was soll das sein?“, fragte Elefele verwundert.
Ich denke, das wird Ihnen Ihr Magier da hinter Ihnen bestimmt erläutern können.“, und zeigte mit der Hand demonstrativ auf Goudge. Dieser holte tief Luft, versuchte sein Wissen in Worte zu fassen und sagte schließlich mit angespannter Stimme: „Der Damian-Stein ist einer der drei besonderen magischen Steine. Er entstammte aus einer Zeit, lange bevor der Magierzirkel gegründet wurde. Man sagt, er sei der Ursprung aller magischen Kräfte, also der Andermacht selbst. Wer ihn besitzt, kann jedwede Form von magischer Energie absorbieren und nach beliebigen auf sich selbst oder andere Personen übertragen. In den Riegen der Magier ist es strengstens verboten diesen Stein zu suchen. Bei Zuwiderhandlung droht die Todesstrafe. Es steht geschrieben, dass er an einem sicheren Ort, fernab von Menschenhand, hinter einer magischen Barriere verborgen liegt… seit hunderten von Jahren.“ Er stoppte.
Zolner klatschte provozierend in die Hände. „Sehr schön. – So. Nach dieser kurzen Geschichtsstunde nun, wissen Sie was Ihr neues Ziel sein sollte: Bringen. Sie. Mir. Diesen. Stein!

Ernest biss sich auf die Unterlippe, als er diese arroganten Worte hörte. Er war wütend. Sehr wütend. Seine Hände hatte er bereits zu Fäusten geballt, doch er konnte sich beherrschen nicht auf diesen kriminellen Abschaum hinter dem Tisch loszugehen. Sein Körper zitterte leicht. Twitty bemerkte die Angespanntheit von Ernest und legte ihre Hand auf seine Schulter. Er drehte sich zu ihr um. Sie schüttelte den Kopf. Ohne Worte. Ernest schaute wieder zu Boden, er musste versuchen sich abzulenken.
Ihnen ist schon klar, dass wir einen solch mächtigen Stein nicht in die Hände eines Menschen geben können wie Sie einer sind, oder? … Gibt es nicht etwas anderes, was Sie als Gegenleistung akzeptieren?“, versuchte Elefele eine Alternative zu finden.
Nein!“, kam die Antwort trocken zurück, „Entweder Sie bringen mir diesen Stein, oder Sie werden nie erfahren, was es mit dem Verschwinden der Leute auf sich hat.“ Wieder stand er auf und ging zur Anrichte. „Und schließlich wollen Sie, die ‚glorreichen Tempelritter’ doch jenen Menschen helfen, oder? … Den Männern und Frauen, den Kindern und Greisen, den Handwerkern und Knechten, den Schmieden und Alchemisten, den … –

Augenblicklich hörte Goudge die folgenden Worte von Zolner nicht mehr.
>Was hatte er da gesagt? ‚Den Schmieden und Alchemisten’? Wusste er etwas über das Verschwinden von Godwyn? Hatte er womöglich sogar selbst etwas damit zu tun? Bestimmt, sonst hätte er das nicht aufgezählt.< Goudge schossen viele Fragen durch den Kopf. Es fiel ihm schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Für ihn drehte sich alles. Sein Kopf pochte laut. Er hörte nicht mehr, was Zolner noch gesagt hatte, seine Ohren waren wie betäubt. Langsam spürte Goudge eine gewisse Unruhe in sich hochkommen.
Er fiel Zolner ins Wort: „Was haben Sie da eben gesagt?
Dieser schaute etwas verwundert zu Goudge herüber, ebenso auch Elefele und die restlichen Mitstreiter. Noch einmal stellte er die Frage, diesmal allerdings mit einem deutlichen Nachdruck: „WAS haben Sie da eben gesagt?
Zolner grinste. „Da habe ich wohl einen wunden Punkt erwischt, was?“ Er lehnte sich wieder im Stuhl zurück und atmete tief durch, ehe er antwortete: „Also… selbstverständlich weiß ich, wo die entführten Leute sind und was mit ihnen gemacht werden soll. Sagen Sie bloß, es hat jemanden erwischt den sie kennen.“ Er lachte wieder.
Goudges Hände waren bereits zu Fäusten geballt, er zitterte heftiger als Ernest, sein Gesichtsausdruck war zornig, und sein Blick starr und wütend. Zolner lachte weiter.
Er versuchte sich zu beherrschen. Twitty sah ihn besorgt an, denn sie wusste um die Entführung seines alten Freundes. Ringo beobachtete Ernest. Einer müsste ihn im Notfall zurückhalten können. Und Elefele schaute Goudge an, dessen starrer Blick immer noch auf den höhnisch lachenden Zolner gerichtet war. Er lachte lauter und immer lauter. Fast schon so, als wollte er die Tempelritter provozieren … mit Erfolg.

Goudge konnte nicht länger an sich halten, rannte an Elefele vorbei, sprang über den Tisch, drückte dabei Zolners Stuhl nach hinten, packte ihn am Kragen, drückte ihn an die Wand und hob ihn ein Stück weit hoch. Mit wutentbranntem Gesichtsausdruck schaute er Zolner in die Augen. Er fletschte die Zähne, sein Griff am Kragen wurde fester und fester.
Elefele war schockiert. Noch nie hatte sie Goudge so wütend erlebt. Ringo und Twitty schauten ebenso fassungslos. Doch in dieser prekären Situation sah man bei Zolner keinerlei Angst oder Furcht. Er grinste und lachte spöttisch: „Also hast du wohl jemanden auf diese Weise verloren, was? … Überleg dir jetzt gut, was du tust, sonst wird das hier ein unschönes Ende nehmen.“ Instinktiv schaute Elefele zu den zwei großen, muskelbepackten Männern, die neben Zolner standen und nun anfingen ihre Schwerter ein Stück weit aus der Scheide zu ziehen. Sofort rief sie: „Goudge! Hör auf! Lass ihn los! Sofort!
Immer noch völlig in Rage hielt er Zolner noch umso fester am Kragen gepackt. Er war wütend. Nein. Sauer! Stinksauer! Für diesen kriminellen Abschaum empfand er nur abgrundtiefen Hass.
Doch nachdem er nun mehrmals von seiner Gildenmeisterin den Befehl gehört hatte, lockerte sich sein Griff und er lies Zolner wieder hinunter.
Braver Junge. Und nun geh zurück nach hinten.“, verspottete dieser Goudge.
Wenn ich wiederkomme, wirst Du bezahlen! … Kein Berg ist zu hoch, kein Meer zu aufbrausend und keine Ebene zu weit. Sollte meinem Freund etwas zugestoßen sein, werde ich Dich suchen und finden, egal wo Du Dich versteckst!“ Zolners Gesicht wurde ernst. Und mit diesen Worten drehte sich Goudge um, ging an Elefele und die übrigen Templer vorbei, nahm sich immer noch voller Zorn seine Waffen, öffnete die Tür und warf sie mit einem lauten Knall zu.

Stille herrschte nun. Niemand sagte etwas, bis sich schließlich Zolner räusperte und auf seinen Stuhl niederließ: „Sie sollten Ihre Leute besser im Griff haben, werte Elefele. Solche eigenmächtigen Aktionen gehören sich nicht bei geschäftlichen Verhandlungen. Ich schlage vor, sie gehen jetzt.“ Er verwies mit der Hand in Richtung Tür.
Wissen Sie, Herr Zolner, –“, dabei blickte er auf, „sobald diese ganze Sache gelaufen ist, werden wir Sie zur Rechenschaft ziehen.“, drohte ihm Elefele.
Er lachte verschwitzt. Nahm einen Schluck Whiskey aus seinem Glas. Verblieb eben reaktionslos, und setzt schließlich trocken nach: „Was suchen Sie noch hier? Gehen Sie!

Die vier Tempelritter verabschiedeten sich nicht, sondern gingen wortlos zu ihren Waffen und verliesen dann das alte Fachwerkhaus. Hinter ihnen schloss Rumold wieder die Tür und nun standen die Vier erneut draußen auf der Straße. In den Seitengassen Kingshills. Etwas entmutigt. Allein. Ohne weitere Anhaltspunkte.
Das Wetter war umgeschlagen. Es nieselte leicht, der Himmel war grau und trostlos,… und schließlich fragte Twitty besorgt: „Wo ist Goudge?

 

Veröffentlicht von Goudge 11.09.2013